Virtualisierte Arbeitsplätze

[Teil 2]

Foto: Moderner Arbeitsplatz mit Laptop und Smartphone

Die Arbeitswelt verändert sich. Diese Feststellung ist in den letzten Jahrzehnten fast zu einem Allgemeinplatz geworden. Digitalisierung war da eines der wichtigsten Schlagworte. Schon seit vielen Jahren sind Computer aus der täglichen Arbeit in den meisten Branchen nicht mehr wegzudenken; und diese Entwicklung ist noch lange nicht an ihrem Ende angekommen.

Computergestützte und -gesteuerte Arbeitsprozesse werden immer mehr und in der Digitalisierung 4.0 wird gar die komplette Selbststeuerung von Maschinen und Produktionsstraßen propagiert. Die Vernetzung tritt als Schlagwort der Stunde neben die Digitalisierung. Nun ist Vernetzung nichts grundsätzlich Neues; Unternehmen verfügen schon seit vielen Jahren über interne Netzwerke und auch das Internet ist schon längst kein Neuland mehr. Was sich jedoch verändert, ist die Art, wie diese Dinge genutzt werden.

Noch vor wenigen Jahren stand an jedem Arbeitsplatz ein kompletter PC, ausgestattet mit der gesamten Hard- und Software, die für die produktive Arbeit benötigt wurde. Netzwerke dienten vor allem der Kommunikation und, sofern entsprechende Server angeschlossen waren, als zentraler Datenspeicher, der allen Mitarbeitern den Zugriff auf bestimmte Daten und Informationen ermöglichte. Inzwischen jedoch befindet sich die IT-Infrastruktur vieler Unternehmen hier in einem tiefgreifenden Wandel. Die Einzelplatzrechner mit Netzanbindung verschwinden, werden ersetzt durch Terminalservernetzwerke, in denen der einzelne Arbeitsplatzrechner nur noch Client ist, der über eine Remote-Verbindung auf die zentral gehosteten Anwendungen und Ressourcen zugreift.

In unserem letzten Newsletter haben wir Ihnen einen Überblick über diese Entwicklung gegeben und einige der wichtigsten Begriffe, wie Terminalserver und Virtualisierung erläutert. Außerdem haben wir die Frage aufgeworfen, was diese Entwicklung für die Anwender von Hilfsmitteltechnologien bedeutet. Nachdem wir diese Frage im letzten Newsletter nur sehr allgemein beantworten haben, wollen wir das Thema an dieser Stelle nun weiter vertiefen.

 

Hilfsmittelsoftware auf Terminalservern

Grafik: 1 Server der mehrere Workstations bedient

Seit vielen Jahren statten wir Arbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte in ganz unterschiedlichen Bereichen mit Hilfsmitteltechnologie aus, von Heimanwendern, über klein- und mittelständische Unternehmen bis hin zu großen Konzernen und Behörden. Schon früh sind wir dabei mit Terminalserver-Netzwerken in Berührung gekommen und haben über die Jahre einen reichen Schatz an Wissen und Erfahrung angesammelt. Diese Erfahrung hat gezeigt, dass das Arbeiten mit Hilfsmittelsoftware grundsätzlich auch in Terminalserver-Netzwerken und virtualisierten Umgebungen möglich ist. Allerdings ist es auch hier, wie so oft in Sachen Barrierefreiheit eine Frage der konkreten Umsetzung, ob und wie gut es dann tatsächlich funktioniert. Was aber ist bei der Planung und Einrichtung von Terminalserver-Netzwerken zu beachten, damit auch Anwender, die auf Hilfsmittelsoftware angewiesen sind, effizient arbeiten können?

Um diese Frage zu beantworten, ist es unabdingbar, sich zu vergegenwärtigen, was ein Terminalserver-Netzwerk ist und wie Hilfsmittelsoftware einer solchen IT-Umgebung funktioniert.

Rekapitulieren wir also noch einmal: Ein Terminalserver ist im Prinzip ein Server, der neben seinen normalen Funktionen dazu in der Lage ist, seine Systemressourcen, wie CPU-Rechenleistung oder Arbeitsspeicher, in mehrere „virtuelle Windows-Desktops“ zu unterteilen, und diese dann den Anwendern, die sich über einen Client mit dem Server verbinden, zur Verfügung zu stellen. Die gesamte Rechenleistung wird dann auf dem Server erbracht, die Clients dienen dazu, eine Verbindung zum Server aufzubauen, die Benutzereingaben entgegen zu nehmen und an den Server weiterzuleiten, sowie die Bildschirminformationen, die der Server sendet, darzustellen. Findet die gesamte Arbeit auf dem Server statt, reichen dafür sogenannten Thin Clients, schlanke Rechner mit einem reduzierten Betriebssystem, deren einzige Funktion es ist, die Verbindung zum Server herzustellen. Sollen hingegen zusätzlich zu den auf dem Server bereitgestellten Ressourcen noch weitere Anwendungen lokal installiert werden, sind Fat Clients notwendig.

Clients

Benötigt ein Anwender, der an einem solchen Arbeitsplatz arbeitet, nun eine Hilfsmittelsoftware, etwa in Form eines Screenreaders oder einer Bildschirmvergrößerung, so ist in jedem Fall ein Fat Client angeraten, denn eine Hilfsmittelsoftware muss für volle Funktionalität sowohl auf dem Client als auch auf dem Server installiert werden. Dies hängt primär mit der Arbeitsweise der Clientprogramme zusammen, welche die Verbindung zum Server aufbauen. Sie nehmen die Benutzereingaben, etwa Tastendrücke, Mausklicks, etc., entgegen und leiten sie an den Server weiter. Ebenso stellen sie die Informationen, die vom Server zurück an den Client gesendet werden, auf den Ausgabemedien des Clients, üblicherweise ein Monitor, dar. Für das umgebende Betriebssystem ist jedoch alles, was im Fenster des Clientprogramms dargestellt wird, ein Bild.

Eine Hilfsmittelsoftware benötigt damit sie richtig funktionieren kann, direkten Zugriff auf die Anwendung bzw. deren Schnittstellen. Nur dann kann etwa die Position des Fokus erkannt, entsprechend markiert und verfolgt oder der Text in einem Dokument oder Fenster vorgelesen werden. Dieser Zugriff ist einer lokal installierten Hilfsmittelsoftware für Anwendungen, die auf dem Terminalserver laufen allerdings nicht möglich, denn ebenso wie das Betriebssystem erkennt auch die Hilfsmittelsoftware das Anwendungsfenster des Clientprogramms als Bild. Eine lokal Bildschirmvergrößerung wird es vergrößern, alle weiteren Funktionen, wie etwa Kantenglättung, Hervorhebung oder Verfolgung von Fokus, Cursor und Maus, werden aber genauso wenig funktionieren, wie ein lokaler Screenreader. Ebenso wird eine nur lokal installierte Hilfsmittelsoftware Veränderungen in diesem „Bild“ nicht erkennen und kann dann auch nicht entsprechend darauf reagieren. Dies ist für einen Anwender, der auf seine Hilfsmittelsoftware angewiesen ist, für eine produktive Arbeit allerdings unabdingbar.

Hilfsmittelsoftware, die auf dem Server installiert ist, hat diesen Zugriff auf die Schnittstellen der Anwendungen. Sie kann die Positionen von Fokus, Cursor und Maus erkennen, hervorhaben und verfolgen, wir über Ereignisse in den Anwendungen informiert und kann auch Texte erkennen und vorlesen. Diese Informationen werden dann umgewandelt und ebenso wie die Anwendungsinformationen über das Remote Desktop Protokoll an die lokale Hilfsmittelsoftware gesendet. So werden beispielsweise Textinformationen in Zeichenketten übersetzt, die dann von der lokalen Hilfsmittelsoftware interpretiert und vorgelesen werden.

Eine reine Bildschirmvergrößerung, ohne zusätzliche Sprachausgabe, würde unter Umständen auch mit einem Thin Client, also nur mit einer Installation auf dem Server ohne lokales Gegenstück funktionieren, sobald jedoch eine Sprachunterstützung notwendig ist, führt an einem Fat Client kein Weg vorbei. Dieser Fat Client muss allerdings ein Hochleistungsrechner sein. Findet die gesamte Arbeit auf dem Terminalserver statt, reicht ein System, das die Mindestanforderungen der Hilfsmittelsoftware erfüllt. Technisch kann ein solches System so konfiguriert werden, dass es nur die lokale Hilfsmittelsoftware startet und die Verbindung zum Server aufbaut, also quasi wie ein Thin Client funktioniert.

Server

Aktuelle Hilfsmittelsoftware unterstützt die heute gängigen Windows-Betriebssysteme für Server aber der Version Windows Server 2008 R2, also auch Windows Server 2012 R2 und Windows Server 2016. Von Windows Server 2012 (ohne R2!) ist dringend abzuraten, es hat sich im produktiven Betrieb überwiegend als sehr problemanfällig und instabil erwiesen. Ältere Betriebssystemversionen (Windows Server 2008, Windows Server 2003 und älter) werden nicht mehr unterstützt. Hier müsste auf ältere Versionen der Hilfsmittelsoftware ausgewichen werden, was jedoch angesichts der zunehmend schnelleren Entwicklungen im Bereich der Anwendersoftware nicht zu empfehlen ist. Zudem erhalten ältere Versionen ab einem gewissen Zeitpunkt keine Sicherheitsupdates oder Fehlerkorrekturen und auch keinen Support mehr.

Die Anforderungen an die Hardwareausstattung hängen, bei Terminalserver-Arbeitsplätzen ohne Hilfsmittelsoftware auch, stark davon ab, welche Anwendungen außer der Hilfsmittelsoftware auf dem Server zur Verfügung gestellt werden. Eine Bildschirmvergrößerung erhöht den Bedarf an Arbeitsspeicher für eine Terminalserver-Sitzung um etwa 250MB, bei einem Screenreader sind es etwas weniger. Bezüglich des Prozessors sollte man maximal drei bis vier Anwender mit Hilfsmittelsoftware pro Kern rechnen. Ganz grob kann man sagen, dass auf einem Server mit einem Vierkernprozessor und 24GB Arbeitsspeicher ungefähr 10 Anwender mit einer Bildschirmvergrößerung komfortabel arbeiten können.

Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Bildschirmvergrößerung ab Windows Server 2012 R2 die Rechenoperation für die Darstellung des Bildschirminhalts auf der GPU ausführt, um die CPU-Last zu verringern. Dieses Verfahren kann auf einem Server zu Problemen führen, da diese selten über eine Graphikkarte verfügen. Wird ein Windows Server 2012 R2 oder 2016 mit einer entsprechenden Anfrage der Hilfsmittelsoftware konfrontiert und kann keine physische (oder gemappte) GPU zur Verfügung stellen, wird eine emuliert. Diese Emulation ist jedoch sehr langsam und macht produktives Arbeiten fast unmöglich. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Problem zu umgehen: Zum einen kann der Server mit einer Graphikkarte ausgestattet werden, so dass das Betriebssystem nicht mehr versucht, eine GPU zu emulieren. Zum andern bietet die Vergrößerungssoftware verschiedene Einstellmöglichkeiten, um diese Rechenoperationen von der GPU auf die CPU umzulenken. Dies hat allerdings eine deutlich höhere Prozessorauslastung zu Folge, es kann dann nur noch mit einem Anwender mit Hilfsmittelsoftware pro Kern gerechnet werden. Beides ist bei der Planung der Hardwareausstattung zu berücksichtigen.

Netzwerk

Grafik: Mehrere über Platienennetzlinien verbundene Digitaldisplays wie PCs, Smartphones, Tablets

Bei der Netzanbindung sind vor allem die Bandbreite und die Netzwerklatenz wichtig. Die Bandbreite ist in der Regel kein Problem. Eine Hilfsmittelsoftware benötigt hier etwa 250-300Kbit/s, Bildschirmvergrößerungen meistens etwas mehr, reine Screenreader etwas weniger. Von wesentlich größerer Bedeutung ist, vor allem für Anwender mit einer Bildschirmvergrößerung, die Netzwerklatenz. Idealerweise sollte diese bei maximal 25ms betragen. Liegt die Latenzzeit über 35ms treten bereits deutlich sichtbare Probleme auf. Der Bildaufbau wird sehr langsam, die Bewegungen von Maus und/oder Fokus laufen nicht mehr flüssig, sondern erfolgen abgehackt und in Sprüngen. Die Hilfsmittelsoftware verfügt über verschiedene Einstellungsmöglichkeiten, die es ermöglichen, auch bei grenzwertigen Netzwerklatenzen noch akzeptable Ergebnisse zu erzielen, ab einer Latenzzeit von über 50ms ist produktives Arbeiten allerdings auch damit quasi nicht mehr möglich. Für Zugriffe, die von außen, etwa von Heimarbeitsplätzen, über DSL-Leitungen erfolgen, ist außerdem darauf zu achten, dass es sich hier um eine symmetrische Leitung handelt, da asymmetrische Leitungen die Datenpakete häufig versetzt senden und so extrem hohe Latenzen von 90ms und mehr haben.

Clientprogramme

Für die Übertragung der Benutzereingaben vom Client an den Server und die Übertragung der Bildschirminhalte vom Server an den Client wird ein spezielles Protokoll benötigt, damit die Bedienung der Anwendungen reibungslos funktioniert. Die am weitesten verbreiteten Protokolle dieser Art sind das Windows-eigene Remote Desktop Protocol (RDP), das über die in allen aktuellen Windows-Versionen automatisch vorhandene Applikation Remotedesktopverbindung (mstsc.exe) zum Aufbau einer Terminalserver-Verbindung benutzt werden kann, sowie das von Citrix entwickelte Independent Computing Architecture Protokoll (ICA Protokoll). Citrix bietet eine Reihe verschiedener Lösungen, sowohl auf der Server- als auch auf der Client-Seite, wie über dieses Protokoll eine Verbindung hergestellt werden kann, abhängig davon, ob virtuelle Desktops, Sessions oder nur einzelne Anwendungen zu Verfügung gestellt werden sollen und wie die Anwender die Verbindung aufbauen.

Aktuelle Hilfsmittelsoftware unterstützt die Windows Remote Desktop Dienste ab Windows Server 2008 R2 auf der Server- bzw. ab Windows 7 auf der Client-Seite ebenso wie Citrix XenApp/XenServer ab Version 7.x. Ältere Versionen funktionieren gegebenenfalls auch noch, jedoch wird hier bei eventuellen Problemen keinen Support seitens der Hersteller mehr geleistet.

Zusammenfassung

Abschließend lässt sich feststellen, dass Hilfsmittelsoftware letztlich auch nur eine weitere Software ist, die auf dem Terminalserver zur Verfügung gestellt wird. Werden die Anforderungen dieser Software und die Bedürfnisse ihrer Benutzer bei der Planung und Einrichtung der Infrastruktur konsequent berücksichtigt, unterscheidet sich der zusätzliche Aufwand für den Betrieb dieser Arbeitsplätze nur wenig von dem anderer Software.

Weiterführende Informationen

Mit diesem kurzen Überblick konnten wir Ihnen hoffentlich zeigen, dass es doch wesentlich unkomplizierter ist, Arbeitsplätze mit Hilfsmittelsoftware in einer Terminalserver-Infrastruktur zu betreiben, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Gerne stehen wir Ihnen natürlich auch mit unserer langjährigen Erfahrung zur Seite und beraten und unterstützen Sie bei der Planung und Einrichtung barrierefreier Arbeitsplätze.

Kontaktieren Sie uns unter

Telefon: +49 2304 946 0
E-Mail: info.reha@papenmeier.de

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